"Ich war noch nicht überall, aber es steht auf meiner Liste"
 "Ich war noch nicht überall, aber es steht auf meiner Liste"

Auf Spurensuche in Sardinien - Herbst 2022

Das Rennen um die besten Möglichkeiten, ursprüngliches, freies und ungezwungenes Reisen zu erleben, hat in den letzten Jahren eindeutig Griechenland (Festland) gemacht. Trotzdem sind die Zeiten der 90er-Jahre in Sardinien immer noch im Hinterkopf vorhanden, als der Jugoslawienkrieg Fahrten nach Griechenland nur noch per (teurer) Fähre ermöglichte. Meinen Besuch vor sechs Jahren im Spätsommer konnte ich dank einiger Nierensteine nicht so richtig genießen – er machte dennoch Lust auf mehr.

 

Nun bot sich die Chance, zusammen mit meiner Schwester, sowie Daniela und Alex es nochmals zu versuchen.

 

Die meisten Fähren bekommt man von Genua, Livorno oder Civitavecchia aus, man könnte auch via Korsika Sardinien ansteuern – wir entscheiden uns für die schnellste und preiswerteste Möglichkeit: Livorno – Golfo Aranci mittels sardegna ferries. Dabei bewährt es sich, kurzfristig online über „Direct Ferries“ oder alternativ am Hafen zu buchen, und zwar nur „one way“, um keinen Druck aufzubauen.

Anstehen an der Fähre in Livorno

Der 17. September lockt nicht viele WOMOs, also werden die Passagiere zweier Schiffe kurzerhand „zusammengeschmissen“, Abfahrt zwei Stunden früher als geplant! Macht nichts, die Info erreicht uns rechtzeitig. Dieses Mal trudele ich gemütlich mit meiner Schwester Ute und ihrem neu erworbenem Vintage VW-California (beinahe schon ein Oldtimer) los, weichen den Gewittern durch Stopps in San Daniele di Friuli und Bibione Capalonga (wo uns Daniela und Alex einholen) aus und erreichen den kürzlich entdeckten Übernachtungsplatz bei Barberino di Mugello, kurz vor Firenze.

 

Statt der avisierten sieben Stunden Überfahrtszeit werden es dann zehn (Kapitän übte Schleichfahrt), sprich Ankunft gegen 23:00 Uhr. Dann sollte man eigentlich auf den Parkplatz des Centro Commerciale Olbia Mare stoppen, sich ein Steak im Old Wild West gönnen und ausgeruht am nächsten Tag losziehen und nicht wie wir noch eine Stunde lang einen geeigneten Platz am Meer suchen!

So war's früher ...

Erster Stopp am nächsten Tag: La Caletta! Hier zeigt sich das „neue Sardinien“. Happige Parkgebühren und Übernachtungsverbot für WOMOs zwingen einen in die durchaus vorhandenen, preisgünstigen Campingplätze. Freies Stehen erscheint problematisch, will man ja auch nicht, direkt neben einem Campground.

 

Die Landschaft hat sich - gottseidank - nicht verändert, außer, dass mehr Ferienhäuser entstanden sind. Also rüber über die Berge des Gennargentu und hinab in die Ogliastra, immer noch einer der schönsten Flecken Sardiniens mit den an den Berghängen „klebenden“ Städten JerzuUlassaiLanusei und Villagrande, dem Cannonau Weindepot in Jerzu, den „Taccus“ (übriggebliebene Kalksteintürme) und den unvergleichlichen Sandstränden.

 

Dazu Plätze beim Torre di Bari, dem Camping Coccorocci mit seinen rollenden Steinen und den piscinas naturales, Wassergumpfen halt, und als Highlight der Stellplatz bei Porto Corallo.

Westküste mit Pan di Zucchero

Ich will weiter, weil das Wetter instabil wird, rüber auf die Westseite. Da müssen wir erst durch eine Gewitterfront kurz vor Cagliari mit sintflutartigem Starkregen. Angekommen bei Nebida und Masua zeigt sich die ganze Malaise Sardiniens: wenig Platz, weil zu viele Menschen unterwegs sind, die alle die fantastische Landschaft genießen wollen. Der malerische Stellplatz in Masua ist aufgelassen, genauso wie in Buggeru, die folgende Bucht vorm Capo Pecaro findet nicht unsere Zustimmung. Dafür entdecke ich "zufällig" (ich geb's zu, ich habe mich verfahren) eine kleine Abzweigung beim Capo Pecaro, eine Schotterstraße, die den Weg nach Scivu an der Costa Verde erheblich abkürzt. Und sich noch dazu als erheblicher Spaßfaktor entpuppt!

 

In Scivu sind, wie überall die Raubritter bereits vor Ort, wollen 12 Euro fürs Übernachten und bieten außer Wasser (kostenpflichtig) – nichts. Und wer zu lange schläft, zahlt gleich wieder Parkgebühren. Eine gängige Praxis, am Berchidastrand kommt man so auf satte 43 Euro pro Tag nur fürs Recht, zu stehen. Das ist dann schon Königsee Abzocke - wie schnell sich die Hotspots doch angleichen!

Is Arutas - der "Reiskornstrand"

Das Wetter an der Westküste ist genauso trüb wie die weiteren Aussichten, so dass Alex die Nerven verliert, die Rückfahrt bucht und die restlichen Tage entspannt mit Daniela am Campingplatz Sa Prama nahe Orosei verbringt. Er genießt halt mehr die Annehmlichkeiten eines Stellplatzes mit Dusche, Beach Bar und Restaurant – das hatte ich fast vergessen. 

 

Ute und ich ziehen weiter zum Spiaggia di Is Arutas, dem „Reiskornstrand“. Drei Brüder haben sich jeweils einen Streifen Land gesichert, der sich bis zum Meer hinzieht, dort, wo wir früher frei und losgelöst oft eine ganze Woche verbrachten. Reiskornstrand deshalb, weil der Sand aus gemahlenen, rosafarbenen Muschelkörnern besteht.

 

Der Wind ist zwar nicht so stark, dass er unsere Spaghetti aglio e oglio e pepperoncini aus den Tellern wehte, aber ein weiteres Vordringen an der Westküste ausschließt.

 

Kurze Beratung, dann Schwenk nach Osten auf den „Highway“ Richtung Nuoro und dann rechts ab zum Gennargentu, durch den Passo de Correboi, nicht mehr oben drüber wie früher und dann hinab in die geschützte Ogliastra. Im Gepäck zwei fette Stränge Bottarga, dem Rogen der Meeräsche aus Cabras.

 

Die Ogliastra ist ein Schönwetterfleck Sardiniens bei Westwindlagen. Die bis zu 1800 Meter hohen Berge des Gennargentu-Massivs halten Wolken und Regen zurück.

 

So auch diesmal und wir genießen noch eine perfekte Faulenzer Woche in Tancau im Kiefernhain vorm Sandstrand, Rad-Ausflüge nach Arbatax und Richtung Pedra Longa inklusive.

Chillen am Strand von Tancau

Es ist immer noch ziemlich voll, was an der Invasion von Schweizer WOMO-Touristen liegt, die in den letzten Jahren die Insel entdeckt haben; ein Übel mit allen negativen Begleiterscheinungen massenhaften Auftretens einer Bevölkerungsgruppe. „Porca Miseria!“, wie die Besitzerin des Campingplatzes treffend erkannte.

 

Fast alle reisen mit Kind und Kegel sprich Hunden an, dementsprechend geht es zu, wobei die meisten sich selber genügen und keinen Kontakt suchen. Tja, es hat sich vieles verändert!

 

Die Rückfahrt ist problemlos, Utes neues, altes WOMO hat sich bewährt und das Wetter ist jetzt (natürlich) stabil.

Fazit:

 

Sardinien ist nicht mehr das, was es war. Die freien Stellmöglichkeiten werden weniger, der Trend geht klar zur Zwangskasernierung auf Stell- und Campingplätzen, deren Kapazität für den Ansturm nicht ausreicht. Ich möchte nicht wissen, wie es hier im Sommer zugeht, wenn jetzt, Anfang Oktober, gerade noch Platz ist. Unter dem Massentourismus hat auch die Freundlichkeit der Bevölkerung gelitten, was besonders schade ist. Aber das ist ein universelles Problem, da braucht man nur an die Probleme der einheimischen Bevölkerung mit den Tagestouristen im bayerischen Süden denken.

 

Ich hoffe, dass Griechenland dieses Problem erspart bleibt, bin positiv gestimmt, da die Anreise dahin doch sehr viel länger ist und Griechenland einfach viel größer ist. Dazu hoffe ich, dass der Flugtourismus wieder in Gang kommt!

 

Die explosionsartige Vermehrung im WOMO-Bereich hat zu vielerlei Auswüchsen geführt, die eigentlich nicht geschehen dürften. Ungeschriebenes Etiketten-Verhalten von WOMO - Fahrern wurde abgelöst von egoistischen „me first“ Mentalitäten, sprich, wer zuerst kommt, mahlt zuerst und nach mir kommt die Sintflut und beseitigt alle Spuren. Es wird sich wieder etwas einpegeln, aber so wie früher wird’s nicht mehr, aber das ist ja immer der Lauf der Zeit.

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