"Ich war noch nicht überall, aber es steht auf meiner Liste"
 "Ich war noch nicht überall, aber es steht auf meiner Liste"

Hausbooturlaub auf dem Canal du Midi

„Wenn Sie sich für einen Hausbooturlaub auf dem Canal du Midi entscheiden, dann genießen Sie die langsame Reisegeschwindigkeit, vorbei an üppigen Weinbergen im Herzen der Weinregion Languedoc. Entlang der gesamten Strecke, vom geschäftigen Toulouse bis hin zu den goldenen Sandstränden des Mittelmeers können Sie Weinverkostungen genießen, Rad fahren, mittelalterliche Dörfer und alte Festungen besichtigen.“

 

So klingen die Einführungsworte aus dem Prospekt des marktbeherrschenden Hausbootvermieters „Le Boat“ und erzeugen ein „Framing“ in meinem Kopf nach Weinverkostungen, Besichtigung hochwertiger kultureller Erbstücke, garniert mit kulinarischen Highlights – und das alles von einem Hausboot als Basislager!

 

Zugegeben, meine Begleiterin und ich träumten immer schon, wenn auch ein wenig halbherzig, von dieser Art des Urlaubsmachens. Dazu ist Wasser ein vertrautes Element, bin ich doch etliche Male auf „Dickschiffen“ (motorisierte Segelboote über zehn Meter Länge) mitgefahren, habe meine Bootspatente erworben (damals noch Führerschein BR für Yachten unter Segel und unter Motor sowie den Sportbootführerschein See) und sogar „mitgechartert“ in den kroatischen Küstengewässern. Auch wenn das bereits 25 Jahre her ist: „Radfahren verlernt man ja schließlich auch nicht!“, so meine Gedanken. Außerdem sind die Motoren dieser Schiffe gedrosselt, schneller als 8 km/h geht’s nicht und die meeresüblichen Gefahren wie Strömungen, Untiefen und starke Winde spielen keine Rolle. Das muss doch zu schaffen sein, zumal einem der Bootsverleiher eine ausreichende Einführung verspricht!

 

Trotzdem, ohne den Anstoß meines Freundes Alex aus Linz hätten wir uns nicht so schnell durchgerungen, zumal diese Art eher zu den hochpreisigen Urlaubs-Angeboten zählt. Unter den vielen angebotenen Wasserwegen machte der „Canal du Midi“ schnell das Rennen; der Süden lockt einfach immer!

Unser erster Liegeplatz nahe Bram

Weiter im Prospekt:

 

„Ein herausragendes Stück Ingenieurskunst - die 1694 fertiggestellte Hauptstrecke des Canal du Midi erstreckt sich über 240 Kilometer. Der Name lautet auch – „Kanal zweier Meere“ - da sein Netzwerk aus Wasserwegen den Atlantik mit dem Mittelmeer verbindet und einst als Haupthandelsroute diente. Der Architekt, Pierre-Paul Riquet, erschuf ein Kunstwerk mit Aquädukten, Brücken 91 Schleusen und einem Tunnel. Mehr als 42.000 Platanen säumen die oft schattigen Ufer!

 

Hausbootferien am Canal du Midi bieten die ideale Gelegenheit, mit Ihrer Familie und/oder Ihren Freunden diesen fabelhaften Wasserweg aus erster Hand zu erkunden. Sie fahren in einem Tempo, das Ihnen erlaubt, die Menschen kennenzulernen und inmitten dieser natürlichen Schönheit zu entspannen. Ferien am Canal du Midi zählen zu unseren beliebtesten Angeboten. Und mit so vielen Basen zum Auswählen wird es zum perfekten Hausbooturlaub!“

 

Wir entscheiden uns für zehn Tage, Ende August bis Anfang September, mit Start in Castelnaudary, mal „schauen“, wie weit wir kommen.

 

Wer immer sich zu einem Urlaub dieser Art entschließt, sollte auf jeden Fall jemanden dabeihaben, der ein wenig Erfahrung mit Wasserfahrzeugen hat und sich genau überlegen, wen er mitnimmt. Der Bewegungsspielraum ist naturgemäß eingeschränkt, die Kajüten sind klein, die Betten schmal und Dusche und Toiletten entsprechen eher Wohnmobilstandard. Man „sitzt“ sich also ständig auf der „Pelle“ und schon kleine Unstimmigkeiten können Schlammlawinen auslösen. Eigene Räder sollte man auf jeden Fall mitnehmen, nicht nur, damit man der Enge entfliehen kann, sondern auch deshalb, dass man nicht auf die zubuchbaren Klappmonster angewiesen ist. Denn es gibt viel zu entdecken an Back- und Steuerbord! Mit Baden ist allerdings nichts – zu verschmutzt und zu viele Schwebteilchen im Wasser, da denkt man gar nicht dran!

 

Die Entfernung Regensburg - Castelnaudary beträgt, je nach Strecke, 1300 bis 1400 Kilometer, das könnte man in einem Rutsch schaffen, sollte man aber lassen. Wir haben ja ein WOMO und da liegen so viele interessante Orte auf der Strecke!

Anfahrt

 

Wir starten in Inzell, WOMO fährt autonom, die Strecke über Kufstein, Brennerpass, Gardasee hat sich quasi als Algorithmus eingegraben, nur am südlichen Ende des Gardasees muss ich eingreifen und auf Weiterfahrt auf der Autostrada bestehen, dieses Mal gibt’s keinen Zwischenstopp bei Montinelle. Gute 600 Kilometer sind‘s bis zum Stellplatz in Neive, Cuneo (44.727571, 8.113628), mitten in der Langhe und richtig: wir sind im piemontesischen Mekka der Weinliebhaber und Feinschmecker. Barolo, Barbaresco und Barbera warten auf uns in einem der Lokale in Neive, beispielsweise in der Osteria Borgo Vecchio.

2745 Meter über dem Meer - Col Agnello

Weiter geht’s über Bra und Sampeyre zum Col Agnello oder, französisch Col dAgneau. Von wegen „sanftem Lamm“, 2750 Höhenmeter weist dieser Übergang auf. So weit oben war WOMO noch nie!

 

Salut, France“! - wir sind da, aber noch lang nicht dort, wo wir hinwollen. Erst mal geht’s hinab zum Lac de Serre-Poncon, nicht weit entfernt von Gap, der Schwesterstadt von Traunstein und weiter zur Rhone, die wir nördlich von Orange überqueren. Die Provence empfängt uns mit endlosen Rebstöcken vom Cotes du Rhone, aber wir haben ein Zwischenziel: die Cevennen!

Die Schlucht des La Jonte

Ein paar Tage die Füße vertreten in der Gorge du Tarn. Was für eine unglaubliche Gegend! In der Nähe von Florac gehen wir uns gemütlich ein, folgen einem Pfad, vorbei an diversen Menhiren und erkunden am nächsten Tag die enge Straße in der Schlucht des Tarn. Man muss aufmerksam fahren, viele Franzosen scheinen sich nicht ganz sicher zu sein, wie breit ihre Gefährte sind; ich bremse bei diversen Begegnungen lieber ab, aber - auch nicht optimal Ein Franzose mit einem Kleinwagen meint, er müsste mich anschieben. Es rumpelt und zuerst denke ich, ich hätte die überhängende Wand gestreift. Nein, er hat mich hinten erwischt, die Einstiegsschwelle gestaucht und eine Beule in den linken Türflügel gestoßen. Sieht nicht so schlimm aus, mit dem Zimmerer-Hammer lässt sich alles zurechtbeulen und es behindert uns auch nicht, aber, zuhause sind’s dann doch 7000 Euro an Reparaturkosten.

 

Aber die Abwicklung ohne Polizei funktioniert problemlos und wir genießen weiter die Gorges, machen eine großartige Höhenwanderung von Rozier aus zum Rocher du Capluc, weiter zur Cornisse du Causse Mejean und über den Balcon du Vertige zurück nach Rozier. Nicht mal das durchziehende Gewitter hat den Genuss geschmälert!  Hab‘ übrigens wieder mal die Regenkleidung vergessen! Ein absolutes „Muss“ diese Mini-Bergtour!

Beim "Entrecote"

Die Strecke in der Gorges du Tarn von Florac bis Le Roziers bietet jede Menge Stellplätze, zwar fast überall mit Übernachtungsverbot, aber das interessiert Ende August niemanden. Außerdem gibt es viele kleine, günstige Campingplätze. Besonders großartig: Der Ort La Malene mit Bademöglichkeit und von dort hinauf auf der D29 und D110 zum Chaos de Montpellier-le-Vieux mit Übernachtungsmöglichkeit beim Restaurant L'auberge de Maubert (44.147408, 3.197102). Dann drängt die Zeit, wir sollten uns aufmachen zur Bootsübernahme nach Castelnaudary. Also verzichten wir auf den „Chaos-Spaziergang“ und machen uns auf den Weg.

Die Backstein-Kathedrale von Albi

Bei Millau unterqueren wir die berühmte Autobahnbrücke Viaduc de Nillau und stoppen in Albi. Das Bischofsviertel und die Kathedrale Sainte-Cecile stehen auf der UNESCO-Liste des Weltkulturerbes. Nach Albi wird die religiöse Gemeinschaft der Katharer, die im Mittelalter schweren Verfolgungen durch die Kirche ausgesetzt war, auch Albigenser genannt. Im Bischofspalast befindet sich ein Museum, das dem in Albi geborenen Maler Henri de Toulouse-Lautrec gewidmet ist. Neben vielen seiner Werke sind auch zahlreiche Gemälde anderer Künstler, wie etwa Edgar Degas und Auguste Rodin, zu sehen.

 

Ach ja, die Katharer! Eine Religionsgemeinschaft mit strengen Regeln, als Ketzer von der katholischen Kirche gnadenlos verfolgt und durch den Albigenser Kreuzzug und das unerbittliche Vorgehen der Inquisition durch die römische Kirche zwischen 1209 und 1310 grausam vernichtet. Sie waren überzeugte Vegetarier und auch Frauen agierten als Priester. Spätestens seit Dan BrownsSakrileg“ dürfte der Zusammenhang zwischen Templern und Katharern in den Blickpunkt allgemeinen Interesses gerückt sein. Realität und Fiktion scheinen dabei beliebig austauschbar.

 

In Castelnaudary treffen wir - nach längerem Suchen der Einfahrt zum Hafen von Le Boat – auf Alex und Daniela, bekommen unser Hausboot, laden viel zu viel Gepäck um und warten auf die Einführung.

Beim "Einschleusen"

„Waterborne“

 

Also, das Hausboot (Continentale) ist 12,75 m lang und 3,80 m breit, hat 2 Kabinen mit je 2 Einzelbetten, umwandelbar in je ein Doppelbett und eine Kabine mit einem Doppelbett, dazu 3 kabinenzugehörige Badezimmer und es ähnelt einer fahrbaren Schrankwand. Gedacht ist es für 6 Personen, wir sind zu viert, also ausreichend Platz. Man könnte lamentieren über die schmalen Betten, die kleinen Duschen. aber, es ist halt ein Schiff, geräumiger als ein Segelschiff, aber eben kein Luxusliner, so weit so gut!

 

„KEINE VORKENNTNISSE NÖTIG“

 

„Unsere Boote sind so leicht zu steuern, dass Sie keine Erfahrung oder einen Bootsführerschein benötigen. Sie erhalten vor Ort eine ausführliche Einweisung in die Handhabung Ihres Hausbootes. Ihnen wird alles, vom sicheren Fahren über das Schleusen bis hin zum Ab- und Anlegen erklärt.“

 

Soweit die Theorie im Prospekt, die Wirklichkeit sieht etwas anders aus. Von wegen leicht zu steuern! Das Ruder ist ausgeleiert, also schwierig, den Kurs zu halten, die Polsterbezüge im Salon gebraucht und verschlissen, ja sogar aufgerissen. Alex holt für uns zu Recht am Ende noch Geld zurück für verschiedene Unzulänglichkeiten. Was guttäte, wäre ein Bugstrahlruder. Damit könnte man das Schiff, zumindest vorne, seitwärts versetzen. Besser wären zwei Bugstrahlruder, vorne und hinten. Damit könnte man perfekt navigieren. So muss man sich damit begnügen, dass das „Schinagl“ nur bei Vorausfahrt zu steuern ist, rückwärts erfordert es Antizipation, mehrmaliges Probieren und eine Crew, die beim „Einparken“ sorgfältig auf Hindernisse, wie Schleusenwände und andere Schiffe Acht gibt.

 

Leichtfertigerweise habe ich mich bereit erklärt, das Ding vorerst zu steuern. Was die anderen nicht wissen: ich habe natürlich meine Haftpflichtversicherung dementsprechend abgecheckt, nur für den Fall! Ich erkläre meiner Crew ihre Aufgaben, wir üben die Belegung der „Klampen“ und kläre auf, welche Rechte der „Kapitän“ hätte.

 

Als Nachweis über ausreichende Fähigkeiten dient eine Hafenrunde mit Ziel-Fahrt durch zwei Bojen, sowie rückwärts einparken, damit der Lotse, sprich Mitarbeiter von Le Boat, wieder von Bord kann. In den 10 Tagen auf dem Kanal treffen wir auf einige Besatzungen, die sich diesen Befähigungsnachweis „erkauft“ haben müssen, so wie sie durch die Gegend „bouncen“. Das kommt sicher öfter vor, so wie die Schiffe von Le Boat generell aussehen. In einem Fall – in der Vierer-Schleuse bei der Rückfahrt in den Hafen – weigert sich der Schleusenwärter, weiterzumachen, und Alex muss aussteigen und helfen. Ich glaube, dass das einzige, was der arme Kerl jemals gesteuert hat, ein Bobby-Car war. Kurz und gut: es riecht nach Massenabfertigung und schnellem Geldmachen!

In der Schleuse

Wir legen los und vor der Einfahrt in die besagte Vierer-Schleuse kanalabwärts passieren wir die erste Brücke, fast perfekt, ohne anzustoßen, nur den Sonnenschirm haben wir vergessen: er erleidet einen Knick, weil die Brücke so niedrig ist. Schicksal! 

 

Nach einer Vierer-, einer Dreier-, einer Zweierschleuse, sowie fünf weiteren haben wir uns - kanalabwärts - eingespielt. Anfahrt an die Schleuse, checken, ob offen, Einfahrt. Dann heißt es arbeiten für die Crew: eine(r) - also immer Alex - muss von Bord, Dann vorsichtig einfahren, ohne anzustoßen und mit dem Bug anlegen, damit Alex aussteigen kann. Ich gebe zu, das gelingt anfangs nicht immer, da der Kahn so träge reagiert und schwer zu manövrieren ist ohne Bugstrahlruder. Bug- und Heckleine werden Alex zugeworfen, er schlingt sie um die Anlegepoller, die Ladies fangen sie auf und halten den Kahn fest, während der Schleusenmeister Wasser ablässt und wir tiefer sinken. Wenn das Niveau ausgeglichen ist, öffnet sich die Abwärtsschleuse und wir fahren hinaus. Alex ist vorher rechtzeitig wieder an Bord gekommen.

 

Klingt simpel, oder? Aber was da alles passieren kann! Das Wasser bewegt sich beim Ausströmen und manchmal sind mehrere Schiffe in der Schleuse, dann geht es rund! Natürlich sind die Boote mit Fendern geschützt, aber die helfen nicht immer. Dementsprechend schauen die Schiffe aus! Ich glaube, das größte Geschäft machen die Werften mit der Instandsetzung der demolierten Kähne. Will man ein einigermaßen undemoliertes Schiff haben, sollte man wohl zu Beginn der Saison chartern!

 

Und es gibt ja noch weitere Schikanen! Beispielsweise enge, niedrige Brücken aus massivem Gestein. Wenn man da nicht genau die Einfahrt anpeilt, dann kann es größere Schäden geben! Ich denke mit Schmunzeln an die betagte Crew aus Südafrika, die es schaffte, an einer Brücke rechts und links und dann wieder rechts anzustoßen. Die Ladies saßen stoisch und ungerührt an Deck mit ihren Drinks, während ihre Männer die Motoren aufheulen ließen, immer zu spät, um die Stöße noch abzufangen. Sie schipperten Gottseidank hinter uns. Der Kanal jedenfalls war dann für einige Zeit gesperrt. Wir bekamen nicht mehr mit warum, aber unsere Phantasie schlug Purzelbäume.

 

Um 19.00 Uhr geht jeder Schleusenwärter nach Hause und dann heißt es festmachen und warten bis zum nächsten Morgen, 9.00 Uhr. Mittags ist auch eine Stunde geschlossen, also sollte man vorher ein wenig planen.

 

Wir wollen einfach trainieren und so weit wie möglich kommen am ersten Tag. Kurz vor Bram machen wir fest: es gibt immer wieder Pflöcke und Poller am Ufer, außerdem gehören Eisenstangen und Feistel (großer Hammer) zur Grundausrüstung, um festzumachen. Eingekauft haben wir ausreichend, der Wein fließt in Strömen zu diversen Salami- und Käsesorten, was nicht alle in Verzückung versetzt. Es ist unglaublich ruhig, kein Schwanken, so dass der Wein ruhig im Magen liegen bleibt.

Zeit für ein wenig Geschichte

 

Der Canal du Midi wurde 1996 von der UNESCO zum Weltkulturerbe ernannt und ist ein außergewöhnliches Beispiel moderner Bautechnik. Über 241 km erstreckt er sich vom Mittelmeer bis nach Toulouse und umfasst insgesamt 328 Bauwerke: von Aquädukten und Brücken bis hin zu Tunneln und Schleusen.

 

1667 begann Pierre-Paul Riquet (1609-1680) mit der Entwicklung des damals bekannten Canal Royal de Languedoc. Ziel war es, Güter zwischen Mittelmeer und dem Atlantik zu befördern. Insgesamt 12.000 Personen, hauptsächlich Frauen, waren 14 Jahre lang mit dem Bau beschäftigt. Lediglich Schaufeln und Äxte waren die Hilfsmittel. Im Jahr 1681 wurde der Kanal eröffnet. Erst zwei Jahrhunderte später wurde Riquets Traum erfüllt und der Atlantik durch die weitergehende Verbindung zum Canal du Garonne erreicht. Der Canal Royal de Languedoc wurde während der Französischen Revolution zum Canal du Midi umbenannt.

 

Heutzutage ist der Kanal einer der ältesten noch operierenden Wasserwege in Europa. Er wird hauptsächlich für den Tourismus und zur Erholung genutzt und begrüßt jedes Jahr um die 55.000 Besucher. Insgesamt 1.900 Personen sind rund um den Kanal beschäftigt (Schleusenwärter, Management und Instandhaltung). Jährlich fließen Einnahmen in Höhe von 122 Millionen Euro in die Wirtschaft, ich hab‘ mich informiert!

Die Zitadelle von Carcasonne

Weiter geht‘s!

 

Am frühen Morgen fahren wir mit den Rädern die paar Kilometer zum Ort Bram. Das reizende Dorf wurde nach einem Ringschema rund um die Kirche aus dem 13. Jahrhundert erbaut. Im Dorf gibt es alles, was wir brauchen; dazu mehrere Restaurants und Bars, frisches BaguetteCafe au lait und einen exzellenten Weinkeller mit Weinen aus der Region. Einige einheimische Gäste haben anscheinend gestern ausgiebig getankt und wärmen diesen Zustand stetig auf. Da macht es auch nichts aus, dass ihnen Danielas Bier in die Hände gerät und angetrunken wird.

 

Auf nach Carcasonne! Die berühmte Stadt besteht aus zwei Stadtteilen: die mittelalterliche Festungsstadt (Oberstadt), die eindrucksvoll über die St. Louis Bastide (Unterstadt) wacht. Die Unterstadt ist der ruhigere Teil Carcasonnes und bildet den perfekten Kontrast zum Trubel an der Zitadelle. Wir klarieren im Hafen ein, schließen Wasser und Strom an, machen uns landfein und schlendern durch die Unterstadt, finden eine Pizzeria und genießen unser Leben. Generell sind wir freudig überrascht von Qualität und Preisniveau aller Lokalitäten, die wir in bei unserem Trip besuchen, genauso wie von der Herzlichkeit der Einheimischen. Ungewohnt und unerwartet, wir haben Franzosen schon anders erlebt. Wahrscheinlich liegt’s am Süden!

 

Am nächsten Morgen ist das Ziel: "La Zitadelle". Sie ist als “La Cité de Carcassonne” bekannt und nach dem Eiffelturm die zweitmeistbesuchte Touristenattraktion in Frankreich, natürlich auch UNESCO-Weltkulturerbe. Größe und Erhaltungszustand sind einmalig. Das Besondere der Zitadelle sind die doppelwandigen Festungswälle mit einer Länge von fast 3 km. Und, ich hab’s endlich geschafft! 1972 bin ich, auf dem Weg nach Spanien erstmals vorbeigefahren, manches im Leben dauert eben!

 

In der Nähe von Carcasonne liegen noch viele interessante Katharer-Burgen, zum Vorbeischauen, wie Peyrepertuse, Quéribus und Puilaurens – wenn man mehr Zeit hätte!

 

Im 12. Jahrhundert etablierte sich eine neue Religion in Europa und blühte im Languedoc auf. Die Wurzeln der katharischen Lehre reichen weit zurück und stammen aus Überzeugungen und Praktiken der katholischen Kirche. Aufgrund diverser Praktiken galten die Katharer für die katholische Kirche als Ketzer, wie meistens, wenn unbequeme Fakten den herrschenden Mächtigen der Kirche nicht in den Kram passten. 1208 begaben sich die Katholiken auf einen Kreuzzug gegen die Katharer und ihre Sympathisanten, die Zuflucht in den Burgen suchten – so auch in Carcasonne - und gleichzeitig die Städte einnahmen. Belagerungen und offene Schlachten fanden statt. Nach mehreren Jahrzehnten des Krieges wurden die Katharer besiegt und blutig ausgelöscht.

"Geisterplatanen"

 

Weiter kanalabwärts begleitet uns eine Weile der Straßenverkehr an Steuerbord (rechts) und Backbord (links), bis wir wieder in die verkehrsberuhigte, platanengeschützte Zone des Kanals eintauchen. Die zum Teil hundert Jahre alten Bäume schützen den Kanal, indem sie die Sonne abhalten und damit die Verdunstung mäßigen. Im Hochsommer regulieren sie die hohen Temperaturen, was jetzt nicht mehr notwendig wäre. Aber es gibt ein großes Problem:

 

Die ikonischen Platanen, die das Ufer des Canal du Midi und des Zweigkanals La Nouvelle säumen, sind akut von einer unheilbaren Krankheit, dem sogenannten Platanenkrebs (chancre coloré), bedroht. Die einzige Möglichkeit, den Befall zu stoppen, besteht im Abholzen der Bäume. Auf diese Weise werden die kranken Bäume entfernt und eine Ausbreitung verhindert. Dazu müssen auch die Wurzeln ausgegraben und alles möglichst sofort verbrannt werden. Seit der Platanenkrebs am Canal du Midi 2006 nachgewiesen wurde, sind bereits über 15.000 der 42.000 Bäume am Kanal abgeholzt worden. Es wird befürchtet, dass alle Bäume im nächsten Jahrzehnt entfernt werden müssen.

 

Der Kampf ist aber noch nicht vorbei. Viele Teilstrecken des Kanals sind bisher nur gering betroffen. Dennoch ist für die Zukunft geplant, tausende neue Bäume (entweder Platanen, Kiefern, Pappeln oder Eicheln) in den nächsten Jahren zu pflanzen, um den Charme des Canal du Midis zu erhalten.

 

„Beschädigen Sie keine Bäume! Vertäuen Sie auf keinen Fall Ihr Boot an den Platanen und lehnen Sie Ihre Fahrräder nicht dagegen. Eine Verletzung der Bäume und vor allem des Wurzelgeflechts trägt direkt zur Verbreitung der Krankheit bei.“ 

 

Nachvollziehbar, aber weitgehend hoffnungslos. Viele „Geisterbäume“, die bereits ihr gesamtes Laub verloren haben, zeugen vom Kampf gegen die Windmühlen. Wir legen, kurz nach der Dependance von „Le Boat“ in Trebes, rechtsseitig an, wo es nächtens ruhiger zu sein scheint. Die paar Schritte zurück zu den Restaurants lohnen sich: ausgezeichnete Küche, frische Austern, süffiger Wein – ein Genuss!

 

Sechs Wochen später wird aufgrund lokaler Unwetter hier alles überschwemmt sein, die Zahl der Toten sich im zweistelligen Bereich bewegen und auch einige Schiffe von Le Boat werden demoliert sein!

Der Ort La Redorte ist unser nächstes Übernachtungsziel; Zeit mal wieder die Räder auszuladen!

 

Der Canal du Midi ist auf seiner ganzen Länge mit dem Fahrrad „machbar“. Links und rechts der Wasserstraße gibt es noch die alten „Treidelpfade“, auf denen die Lastkähne von Pferden „getreidelt“, also gezogen wurden. Gut in Schuss gehalten, nur wenn der Kanal Ortschaften durchschneidet, muss man manchmal die Nähe des Wassers verlassen. Von Toulouse bis ans Mittelmeer, gute 260 Kilometer, immer leicht bergab und mit dem Mistral im Rücken – das wäre sicher auch was. Vor allem, wenn man am Atlantik in Bordeaux startet. Da sind’s dann aber schon 520 Kilometer bis Montpellier, aber nur geringe Steigungen bis zum Scheitelpunkt des Canal du Midi bei Minoterie de Naurouze, wo der Kanal mit Wasser versorgt wird.

 

Nachdem wir das alles wissen, satteln wir die mitgeschleppten Räder und „treideln“ ein wenig am Kanal entlang. Daniela verzögert, weil sie die Rettung von in "See- bzw. Kanalnot" geratenen Hunden empathisch mitverfolgt. Wir überqueren mit dem Kanal einen kleineren Bach (Fluss über Fluss, das hat was!) und erreichen bald den Lac de Jouarres, wo man richtig schwimmen kann. Den Kopf lasse ich vorsichtshalber über Wasser! Und dann, Homps!

 

Von den vielen Ortschaften am und nahe beim Kanal darf man sich nicht zu viel erwarten: Lebensmittelgeschäfte, Bars, Restaurants – das ist meistens alles. Also nichts mit „shoppen“ und abends fein ausgehen. Aber dafür Ursprünglichkeit, Verschlafenheit, Authentizität. Und das bei diesem Touristenrummel! Aber der beschränkt sich eben hauptsächlich auf den Kanal und die Umgebung, oft nur, soweit die Füße tragen. Und das tun sie bei den meisten nicht sehr weit. Segler, Motor- und Hausbootfahrer sind ein fußfaules Gesindel, da sind wir echte Ausnahmen mit unseren Radtouren!

"Austernbank"

Zurück am Anlegeplatz schippern wir noch bis Homps, suchen uns ein windgeschütztes Plätzchen für die Siesta im Hafen und beschließen dann umzudrehen und den Restaurants in Trebes noch einen Besuch abzustatten. Volltreffer! Ich habe in der Zwischenzeit einen Reisebericht über eine Hausboot-Tour aus dem Jahr 2004 gelesen, in dem der Autor vor den hohen Preisen in Geschäften und Gaststätten warnt. Gleichzeitig rät er dazu, den Großteil der Lebensmittel mitzunehmen und auf Restaurantbesuche zu verzichten. Warum kommt mir das so bekannt vor? Natürlich: der Autor ist aus Deutschland! Porsche kaufen und dann vor dem Haus stehen lassen, weil das Ding zu viel Benzin verbraucht?

 

Apropos Benzin: Nachtanken war in den 10 Tagen nicht erforderlich, Diesel natürlich! Und das bei doch durchschnittlich 7 Betriebsstunden täglich.

 

Das Schleusen „bergauf“ erfordert ein kurzes Anlegemanöver vor der Schleuse, damit Alex hinausspringen kann. Wir fahren dann in die Schleuse ein und werfen ihm die Leinen zu, oft ganz schön hoch hinauf. Übrigens, es stimmt wirklich: kein Wellengang, aber der Wind ist dann doch manchmal tückisch und drückt unsere fahrende Schrankwand oft dahin, wo ich sie nicht haben will. Ohne Bugstrahlruder hilft da nur die Muskelkraft der Crew. Alex jedenfalls erfährt einen richtigen Fitnessurlaub mit Muskelkater und allem, was dazugehört.

 

Eine richtig ansprechende Radtour machen wir auf dem Rückweg noch von Bram aus nach Montolieu, der Stadt der Bücher und der Künste. Der Ort, der auf einem Felsvorsprung im Herzen des Weinbaugebiets Cabardès liegt, hat mit um die zwanzig Buchhandlungen, der Galerie mit den Bouquinisten, den Buchhandwerkern und dem sehenswerten Museum Michel Braibant seinen Spitznamen als Ort des Buches redlich verdient. Dabei ist allein schon die Lage sehenswert. Zurück geht’s kreuz und quer, bergauf und bergab, am Kloster Abbaye de Villelongue vorbei, scharf links über Saint-Martin-le-Vieil zurück zum Schiff und ab ins Restaurant.

 

Beim Bergaufschleusen zurück nach Castelnaudary dann die Begegnung der unheimlichen Art mit dem australischen Skipper und seiner asiatischen Freundin; jedenfalls schaffen wir es gerade noch in den Hafen, wo es dann nur noch für eine Pizza reicht, die zwar gut schmeckt, aber schwer im Magen liegt. Oder war’s vielleicht doch der gute Weißwein? Ich glaub‘ es war ein Cru Malepère?

Cassoulet

Egal, wir haben noch zwei Tage und befahren den Kanal weiter nordwärts bis zum Scheitelpunkt bei der Minoterie de Naurouze. Dabei machen wir Bekanntschaft mit automatischen Schleusen, die man per Knopfdruck selbst steuern kann – auch kein Problem meht für uns. Inzwischen sind wir quasi Profis!!!

 

In der Marina von Port-Lauragais gibt es ausreichend Liegeplätze, wenn auch das Anlegen mit dem Heck (griechisch-römisch sagt der Segler) ohne Anker am Bug durch den starken Wind problematisch ist.

 

Zum letzten Mal auf die Räder und das Wasserzuführ-System des Kanals erkundet! Der Naurouze Pass (Seuil de Naurouze) ist der höchste Punkt am Canal du Midi und liegt 190 m über dem Meeresspiegel. Das Wasser fließt zu diesem Punkt von den Hügeln und läuft dann in den Kanal, der auf der einen Seite in Richtung Atlantik, auf der anderen Seite Richtung Mittelmeer fließt.

 

Pierre-Paul Riquet, der Architekt des Canal du Midi, hatte große Pläne mit Naurouze. Er hoffte, drumherum eine Stadt zu bauen, angelehnt an den Place Royale in Paris. Leider konnte dieser Traum nicht erfüllt werden, so dass Besucher sich heute nur an der schönen Landschaft erfreuen können. Es gibt noch ein großes, achteckiges Bassin zu sehen, umgeben von Bäumen und vielen schönen Spazier- und Radwegen. In der Nähe befindet sich ein Obelisk zu Ehren Riquets, erbaut in den frühen 1800er Jahren.

 

Eine kleine „Bergtour“ hinauf zu den Burgresten von Montferrand und der Besuch von Notre Dame des Miracles in Avignonet-Lauragais, ein Backsteingotik-Bau. Die Albigenser hatten sich gegen ihre gnadenlose Verfolgung gewehrt und Mitglieder der Inquisition ziemlich grob niedergemetzelt. Sie flohen zur Burg Montsegur, wo sich das Schicksal der Albigenser erfüllte. Montségur war der letzte Rückzugsort der katharischen Gemeinde in Okzitanien. Sein Fall – nicht weniger grausam, die Besiegten wurden alle verbrannt - bedeutete den endgültigen militärischen Schlusspunkt eines sechsunddreißigjährigen Kampfes. Die Katharer konnten ihre Kirchenorganisation und soziale Vernetzung nicht mehr aufrechterhalten. Im frühen 14. Jahrhundert war das Katharertum in Frankreich schließlich gänzlich verschwunden, bis es Dan Brown wieder zum Leben erweckte.

 

Die Tour geht zu Ende, es ist Samstag und wir werden in Castelnaudary im Hafen übernachten um endlich das berühmte Cassoulet verkosten. Castelnaudary wird nachgesagt die Welthauptstadt des Cassoulet zu sein. Dieses herzhafte Gericht aus weißen Bohnen, Enten- und Schweinefleisch, Toulouse-Würstchen, Speck, Zwiebeln und Karotten wird stundenlang gekocht bzw. im Ofen gegart, bis der Eintopf die richtige Konsistenz erreicht. Mehrmaliges Aufwärmen macht das Gericht noch besser. Tja, schmeckt wirklich gut, als deftiger Eintopf ist es aber besser für die kalte Jahreszeit gedacht. Dennoch, eine perfekte Abrundung unseres Hausbootabenteuers.

Der "Sonnenkönig"

Fazit

 

Macht Spaß, das gemütliche Schippern auf ruhigem Wasser, auch die Jahreszeit war gut getroffen und wenn man jemand hat wie Alex, der alles perfekt organisiert, ist sowieso alles bestens. Im Hochsommer wird’s ziemlich heiß und in den engen Kabinen kann man es dann sicher nicht aushalten – muss man halt an Deck schlafen. Frühjahr ist sicher auch eine gute Zeit.

 

Danielas befürchtete Mückeninvasion fand nicht statt. Schade, dass man im Kanal nicht schwimmen kann! Über die Boote ist alles gesagt, so ganz ohne Grundkenntnisse geht’s schwer. Der Charterer Le Boat ist ein Massenbetrieb und, wie alle Boots-Charterungen, eher hochpreisig. Man sollte trotzdem eine Nummer größer nehmen, es zahlt sich aus, wenn man sich ein wenig ausbreiten kann. Nicht unbedingt jedes Jahr und vor allem gibt es ja weltweit weitere interessante Reviere!

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