Südliches England
"Wer nach England will muss schwimmen", nicht mehr selbst, denn es gibt genügend Fähren, aber das Wetter kann zum Problem werden, vor allem Ende März. So auch jetzt, starker Seegang und Windstärke 6 sorgen für Unruhe im Magen.
80 Minuten nach dem Ablegen ist Dover erreicht, das „Geschaukle“ vorbei, der Magen wieder in Ordnung und die ersten Erfahrungen mit dem Linksverkehr werden gemacht. Ein Schlafplatz ist auch schnell gefunden, die Nacht verläuft störungsfrei und auf geht’s zur Besichtigung von Dover Castle.
Es liegt als Wächter vor dem Fährhafen und wurde im letzten Krieg nicht zerstört, weil der GröFaZ sich das ganze Areal als Basis für die weitere Eroberung des Landes ausgesucht hatte. Es kam aber, wie wir wissen, anders. Jedenfalls erhalten wir in den unterirdischen Gängen und Katakomben den Krieg ausführlich aus britischer Sicht erklärt. Beeindruckend mit Ton und Bild, nachgemachten Essenstellern mit Plastikmenüs - selbst Gerüche werden versprüht. Man merkt, dass die Briten kriegserfahren sind, aber es gibt keinerlei schlechte Gedanken über ihre damaligen Kriegsgegner.
Die Gischt schmeckt salzig, obwohl wir fast 100 Meter über dem Ärmelkanal sind und manchmal verweht es uns fast. Also weg von der Küste nach Sandwich, dem Ort wo der Lord gleichen Namens die besagten zusammengefalteten Toastscheiben erfand, weil er vom Spieltisch nicht ständig aufstehen wollte. Natürlich kaufen wir im Supermarkt und probieren und sehen es als Abwechslung zu unseren schrecklich knackigen und röschen Semmeln und Brezen.
Die Sonne meldet sich immer kurzzeitig und die Besichtigungen machen Spaß: das Richborough Roman Fort (siehe Asterix bei den Briten), die Kathedrale von Canterbury (siehe „die Säulen der Erde oder „The Canterbury Tales“), das Kernkraftwerk bei Cap Dungenes (nur von außen), das Schlachtfeld von Hastings (wo sich die Normannen und Angelsachsen bekämpften und erstere gewannen).
Kleine Zwischenbilanz: Es fällt auf, dass die Eintrittspreise durchweg „gesalzen“ sind. Wir sind im Besitz einer „Heritage-Mitgliedschaft“ zum Einmalpreis von 40 € für 16 Tage und die hat sich nach drei Tagen bereits gelohnt. Jeder Parkplatz, und sei er auch am abgelegensten Ort, kostet Parkgebühren. Die meisten Landstraßen haben kein Bankett, die Büsche werden senkrecht geschnitten und man muss genau zielen, um zwischen Straßenrand und Gegenverkehr berührungsfrei durchzukommen. Dazu fahren die Briten einen heißen Reifen und ich weiß nicht, ob das immer gut geht.
Eastbourne und Brighton glänzen als Touristik-Magnete mit ihren „Boardwalks“ auf Stelzen und – weiter westwärts – endlich weiße Kreideklippen im Sonnenschein, wie auf Rügen! Wenn nur dieser ver… Wind nicht wäre!
Auf dem Weg nach Stonehenge gibt’s noch die Kathedrale von Salisbury mit dem höchsten Turm (123 Meter) in ganz England. Man muss die Superlative ausnutzen! Am Abend stehen wir dann mit dem WOMO direkt an den Steinkreisen von Woodhenge, fast in Sichtweite von Stonehenge und schlafen, von Druiden bewacht traumlos und fest.
Angemeldet sind wir am Donnerstag um 9:30 Uhr für den Besuch von Stonehenge aber ein Stromausfall lässt uns bis 10.00 Uhr warten, dann aber stürzen wir uns in den magischen Ort. Man kann zwar das Gelände nur noch umrunden (bei einer Besucherzahl von einer Million jährlich verständlich) aber dennoch sind die Reste dieser bis zu 5000 Jahre alten Kultur, von der man vieles noch nicht versteht, magisch. Und wen treffe ich da? Jeremy Wotherspoon! Wer ihn nicht kennt: einer der bekanntesten kanadischen Eisschnellläufer, nicht mehr aktiv, aber er hat über zwei Jahre in der „Sport-Klinik“ in Inzell als Trainer gearbeitet. Seine Frau studiert in Bath, nicht weit entfernt und so gönnt er sich manchmal den Besuch. Die Welt ist klein!
Mittlerweile sind wir in Cornwall, im Rosamunde Pilcher Land. Das Meer wird richtig blau, die Küsten zerklüftet, die Touristen immer mehr (morgen ist Ostersonntag!), A. schneidet gerade Salat und ich bekomme Hunger.
Die erste Wanderung steht an: an einem kleinen Parkplatz fast innerhalb eines idyllischen Friedhofs bei Seatown, starten wir.
Der Friedhof ist mehr Erholungspark für die Lebenden als Ruhepol für die Vergangenen. Überall Bänke mit Aussicht auf die Meeresbucht, Familien beim Picknick – England, du bist anders.
„Private footpathes“ führen am Meer entlang, natürlich matschig, weil vorher Regen. Es geht weiter mit nassen Schuhen, aber wenn ich mir die Engländer anschaue, wie die herumlaufen! Manche im T-Shirt, mit kurzen Hosen und wir? Eingemummt in Winterkleidung mit Mütze, nur Handschuhe haben wir uns nicht getraut anzuziehen. Die sind echt hart! Auch in den Städten zeigen die Girls, was sie haben: kurze Kleidchen, keine Strümpfe und das bei höchstens 8° Celsius.
Die Wanderung jedenfalls tut gut, auch wegen der schönen Aus- und Ansichten! Dann fahren wir direkt ins berüchtigte Dartmoor. Es handelt sich dabei größtenteils um eine Hügellandschaft aus Moor und Heide mit vielen "Tors", das sind kleine Wiesenbuckel mit Granitfelsen. Der höchste Tor steigt bis auf 600m an. Dazwischen gibt es zahlreiche Fundamente prähistorischer Wohn- und Kultstätten sowie immer mal wieder bewirtschaftete Farmen. Die Straßen sind eng und zugewachsen, gerade mal so eben zum Durchkommen mit dem WOMO. Sir Arthur Conan Doyle hat Sherlock Holmes in seinem Buch „Der Hund von Baskerville“ dorthin geschickt und das wohl bekannteste Gefängnis in Princetown liegt mitten drin. Von da will keiner freiwillig fliehen!
Wir erleben es so, wie es sich gehört: der Wind bläst, Nebelschwaden geistern durch die Felsen, dann sieht man wieder gar nichts, und man wird schon beim Hinausschauen durch die Frontscheibe nass! Wir verlassen Dartmoor lieber und nisten uns an einem freien Parkplatz außerhalb ein. In der Nacht klart es auf und das Thermometer fällt auf null Grad Celsius! Da ist es immer gut, wenn man schnell startet und der Motor den Innenraum aufheizt, in diesem Fall nach Michael’s Mount, der englischen Kopie von Mont St. Mich,ele in der Normandie. Genauso idyllisch, nur etwas kleiner. Inzwischen sind wir bereits am westlichsten Ende von Cornwall. Der südlichste Punkt, Lizard Point hat wieder Königssee-Niveau. Es ist ja Ostern und die Menschen strömen zu ihren Sehenswürdigkeiten. Die Küste ist beeindruckend: man könnte gut baden und surfen!
Überall tritt man auf prähistorische Siedlungen und Steinkreise; ein Stein hat ein Loch in der Mitte und da krabbelten die Frauen siebenmal rückwärts durch bei Vollmond um schwanger zu werden. Ich glaube viele Engländerinnen tun das noch heute, denn wir begegnen unglaublich vielen Familien mit vielen Kindern.
Es ist Zeit für einen Campingplatz bei St. Ives, dem Künstlerort an der Nord-West-Küste. Da wird nämlich jetzt gleich gegrillt (gestern gab’s Fish-Pie und einige Cornish Lagers). Wir haben uns angepasst: 10 Grad über Null ist ideal zum Grillen. Und morgen geht’s zur Burg Tintagel, das ist der Sage nach die Burg, wo König Artus seine Tafelrunde eingerichtet hatte, mit Ritter Lancelot, der ihm dann seine Frau ausspannte und Merlin…. man kennt die ganzen Geschichten. Dumm ist nur, dass es König Artus wahrscheinlich nie gegeben hat und wenn, dann lebte er im 6. Jahrhundert. Tintagel entstand nachweislich erst im 13. Jahrhundert. Na ja, die paar Jahre! Aber sie soll unheimlich schön auf einem Felsen über dem Meer liegen!
Tut sie (die Burg Tintagel), wobei „Burg“ leicht übertrieben scheint. Aber allein die Landschaft ist überwältigend. Da kann man es den Eingeborenen schon nachsehen, dass sie ihren Ort vor vielen Jahren einfach in „Tintagel“ umtauften, um teilzuhaben am Vermarkten von König Artus, der ja auf Englisch „Arthur“ heißt. Perfektes Beispiel von frühkapitalistischem Marketing. Aber, Königssee ist schlimmer!
Zwischendurch ein kurzes Wort zu der schon erwähnten flotten Fahrweise englischer Autofahrer/innen: Die meisten scheinen eins im Geiste zu sein mit Lewis Hamilton. Sie treten aufs Gas, dass die Reifen quietschen, driften durch die Kurven und das gleiche Spielchen mit blockierenden Bremsen. Wohlgemerkt, nicht alle, aber doch schon ganz schön viele. Die auffällig zahlreichen Rettungswägen mit nervigen Fanfaren werden wohl nicht nur ausrücken, um vor Schreck in Ohnmacht gefallene Zuschauer dieser spektakulären Fahrmanöver abzutransportieren?
Eine weitere Anmerkung zu den englischen Maßen: „Yards“ gleich Meter geht ja noch und ein „pint“ im Pub ist eine Halbe, aber wenn dann die Durchfahrtshöhen in „foot“ und „inches“ angegeben sind kommt man schnell ins Schwitzen bei einer verfügbaren Zeitspanne von wenigen Sekunden. Stehenbleiben kann man eh' nur, wenn keiner hinter einem fährt, was selten vorkommt, denn das Verkehrsaufkommen ist schon sehr gewaltig. Es ist halt alles anders auf der Insel und man scheint ein wenig ins Hintertreffen zu kommen mit der Einstellung: „Haben wir noch nie anders gemacht, war schon immer gut, also kein Grund zum Ändern.“ Woher kenn‘ ich das nur?
Weiter nach Okehampton. Das liegt am Nordrand des schon besuchten Dartmoors.
Und dieses Mal stimmt das Wetter für eine Wanderung auf den höchsten Berg Südenglands, den Will Hayes (612m). Ein Großteil der Strecke liegt im militärischen Übungsbereich der englischen Armee, die aber heute nicht Krieg spielen. Man kann sich bei diesem Wetter gar nicht vorstellen, wie gemein es bei Nebel, Regen und Sturm aussähe. Jetzt ist es traumhaft!
Flora und Fauna sollte ich auch nicht vergessen: es ist ja noch sehr früh im Jahr und daher hat es wenig Sinn, die vielen subtropischen Gärten Cornwalls aufzusuchen. Die alle von mannshohen Hecken eingezäunten Wiesen und Ackerflächen sind immerhin schön grün und die ersten Hecken und Bäumchen auch. Auf den Wiesen sieht man Schafe mit frisch gesetzten Lämmern, dabei haben weiße Schafmütter oft schwarze Lämmer und umgekehrt – die Gene halt. Kühe gibt’s auch, meist in Gesellschaft eines stattlichen Stiers oder Ochsen. Dazwischen Lama- und Alpakaherden, Pferde mit Schutzdecken und jede Menge Fasane. Die sind übrigens noch dümmer als Hühner. Der Blutzoll links und rechts der Straßen ist gewaltig. Räumt ja keiner weg die Kadaver, was ich auch nicht machen würde bei den flotten Autofahrern!
Wir besichtigen die gut erhaltene Abbey der Zisterzienser in Cleeve (ihr wisst schon: die mit den weißen Kutten) und kommen nach Bath. Die Römer bemerkten damals die aus der Erde kommenden Heilquellen und bauten dort ihre Thermen. Und die sind wirklich noch erstaunlich gut erhalten und werden auch professionell präsentiert. Dementsprechend ist auch der Zulauf, nicht nur in der Hochsaison!
Die Kathedrale in Wells, deren Uhr im Inneren viertelstündlich einen Ritter beim Turnier köpft, hat uns genauso beeindruckt wie die erste mittelalterliche Arbeitersiedlung, die für die Mitglieder des Chores erbaut wurde und nach wie vor bewohnt wird.
Ein weiteres Weltkulturerbe wartet in Avebury. Wie in Stonehenge stehen hier Felsblöcke innerhalb eines Walles in den Wiesen, mittendrin ein Dorf. Ein gewisser „Joseph Keiller“ hat das alles als Amateurarchäologe ausgegraben und zum Teil wieder aufgestellt, was den Experten Schauer über den Rücken laufen ließ. Aber es sieht fantastisch aus, vor allem weil das ganze 5000 Jahre auf dem Buckel hat!
Dann ist Sonntag und Anna muss nach Stansted zum Flughafen. Der Flug mit Ryan Air nach Salzburg kostet nur knapp 30 Pfund, der nachträglich zu buchende Koffer immerhin nochmals das gleiche!
Ich zieh‘ allein weiter, gleich mit einer Schneiderfahrt an die Ostküste bei Sandilands nahe Boston (genau, das Boston, aus dem die Pilgerväter auf der Mayflower von Plymouth aus übersetzten!). Sturm, Kälte (nachts Null Grad) und nur Touristenorte ohne Bleibemöglichkeit – da schwenke ich doch zurück in die Mitte zum Nottingham Forest, zu Robin Hood und seinen Mannen.
Wahrscheinlich hat es diese Räuberbande auch nicht gegeben, aber die Legende hielt schon im Mittelalter die Menschen in Atem. Ich weiß jetzt, warum diese Leute in Strumpfhosen auftraten: bei der Kälte! Man kann den Wald auch heute noch gut vermarkten - nicht nur die Kirche weiß, wie man schnell zu Geld kommt. Aber schön anzuschauen sind die alten Eichen schon, vor allem die alten, ausgetrockneten, die man stehen hat lassen. Wie afrikanische Baobabs. Und – es wird wärmer!
Nächstes Highlight ist die noch ziemlich gut erhaltene Burg in Warwick. Sie widersetzte sich den Aufkaufversuchen von National Trust (NT) und English Heritage (ET). Beide Institutionen haben nach und nach die meisten Liegenschaften den verarmten Besitzern gegen Leibrenten abgekauft, renoviert und vermarkten sie jetzt. Man kann eine zeitlich begrenzte Mitgliedschaft erwerben und kommt dann kostenlos rein. Lohnt sich bei Eintrittspreisen von bis zu 25 €!
In diese Burg hat sich Madame Tussault eingekauft. Dementsprechend stehen ihre Wachspuppen in einem Teil des Schlosses und mimen die damalige Gesellschaft – ergötzlich. Der noch originale Teil ist vollgestopft mit repräsentativen Dingen, die die finanzielle Potenz der Besitzer abbilden. Immerhin, man bekommt eine gute Vorstellung, wie es damals zuging. Und die Queen war 1996 auch schon da zu einem Bankett.
Völlig erschlagen flüchte ich ins nicht weit entfernte Stratford upon Avon um mit William (Shakespeare) einen zu trinken, aber es gibt nur noch das Pub gleichen Namens. Er selbst liegt schon lange im Sarkophag der Kirche St. Trinity. Ist mir auch lieber so. Hamlet und Macbeth sind ja doch ganz schön gehaltvolle Stücke.
Ich überquere die Grenze nach Wales und alles wird anders: die Schilder zweisprachig, kleine "Mittelgebirgshügelchen" tauchen auf, das Wasser in den Flüssen verfärbt sich von braun zu glasklar, die Sonne scheint, es ist warm – ich bin in einem anderen Land! Naja, die Parkgebühren sind gleichgeblieben, aber es ist irgendwie anders, ich krieg schon noch raus wie!
Tintern Abbey, das gewaltige Zisterzienserkloster am Fluss Wye imponiert mir und ich schau mir auch gleich noch sechs weitere Burgen an, mehr oder minder Ruinen zwar, aber seit Warwick kann ich mir alles besser vorstellen. Interessant, was sich bei allen Burgen am besten erhalten hat sind die Latrinen oder Abort-Erker. Da kann man mal sehen! Der Bart juckt und ich peile den Campingplatz in Monmouth an. Monmouth, das laut Wikipedia mit einem flächendeckenden WLAN wirbt. Ja schon, aber man muss dafür zahlen und das ist wie alles auf der Insel ziemlich deftig: ein Tag 6 Pfund gleich 8 Euro! Und der Campingplatz hat kein eigenes WLAN, nicht gut! Also schicke ich meinen Bericht per "Tethering" auf meine WEB-Site und liefere die Bilder nach.
Meine Pläne: wandern in den Brecon Beacons am Wochenende und morgen statte ich der Whiskey Destillerie in Penderyn einen Besuch ab. Und ratet mal was ich von da mitbringe?
Blaenavon zeigt sich passend zu seiner industriellen Vergangenheit grau in grau und windig. Bis 1980 waren die Anlagen in Betrieb. Die ganze Gegend ist Weltkulturerbe und nationales „Heiligtum“, in dem das Bergarbeiterdasein glorifiziert wird. In die „Big Pit Mine" darf man mit ehemaligen Bergleuten hinein und was sie erzählen ist schon ergreifend. Anfangs war die ganze Familie dort beschäftigt: Kinder ab 6 Jahren und Frauen mussten mit in die Mine. Die Kinder saßen tagsüber 10 Stunden an den Sicherheitstüren, die sie öffneten und schlossen, wenn jemand vorbeikam ,mit einer Kerze, die öfters ausging als ihnen lieb war und dann war es stockdunkel. Alle bekamen kein Geld sondern „Tokens“, mit denen sie in betriebseigenen Läden einkaufen bzw. die Miete bezahlen konnten. „I owe my soul to the company store“, so der Song. Die Gänge waren eng und die Arbeit war dreckig, auch wenn die Kohlenflöze nur 100 Meter tief lagen. Der Anthrazitgehalt des Erzes liegt bei fast 96% und das ist Weltspitze. Trotzdem wurde es billiger, Kohle aus dem Ausland zu holen unter anderem auch aus Deutschland, weil diese ja subventioniert wurde und – obwohl minderwertiger – billiger war. Der Vorteil: es sieht aus, als wären die Anlagen erst gestern verlassen worden.
Es wird Zeit, an die Küste zu fahren. Nahe Southend finde ich einen Campingplatz bei „The three Cliffs“ und das ist genau der Ort, etwas Ruhe zu finden. Kilometerlange Wanderungen bei Ebbe und eine alte Burg, Penmaeren, mit Golfplatz tun der Seele gut (nicht der Golfplatz). Außerdem hat es tagsüber 20 Grad plus!
Nächster Stop ist Rhossili. Die kleine Insel dort sieht bei Flut aus, als läge „Puff, the magic dragon“ im Wasser. In diesem Bereich gibt es Unmengen von prähistorischen und keltischen Relikten. Unter anderem finde ich „Arthur’s stone“ und „Merlin’s hill“. Danach folgt Kidwelly’s Castle, wo ein Teil der “Ritter der Kokosnuss“ gedreht wurden.
Der Küstenort Tenby sieht aus wie ein Dorf der Cinque Terre, so pittoresk sind die Häuserfronten bemalt, leider dreht das Wetter und es ist „mist“! Freshwater West beherbergt mich für eine Nacht. Am nächsten Morgen sehe ich einen beleibten Mann, der diverse Flaggen an einem Gedenkstein hisst und erfahre die tragische Geschichte. Vor genau 72 Jahren versuchten zwei britische Truppentransporter, von Belfast kommend, hier zu landen. Nachdem ihnen von den eigenen Leuten die Erlaubnis verweigert wurde, lief voll im Sturm und 76 Mann Besatzung ertranken und wurden an die Küste gespült. Und heute um 11:00 Uhr ist offizielle Einweihung der das SchiffGedenkstätte. Der ankommende Reporter interviewt mich auch gleich mit und ich mach' mich auf Richtung Nord-Wales.
"Rauhnacht" – die Nacht zum 1. Mai. Nacht der Hexen, Kobolde, Geister und was weiß ich noch alles, besonders hier in Wales. Ich habe mich deshalb auf einen „Campground“ zurückgezogen und genieße ganz dekadent die Wärme des Heizlüfters im WOMO. Die letzten Nächte waren schon sehr frisch und es dauerte, bis ich aufgetaut war. Der Wind, bzw. der Sturm war das Problem. Das WOMO ist zwar wasserdicht, aber der Wind findet immer einen Weg hinein.
Nach Carew Castle finde ich einen großen freien Platz in Fishguard, wo die Fähren nach Rosslare/Irland weggehen. Zeit, sich Gedanken übers „Freistehen“ mit dem WOMO zu machen.
Hier ist vieles anders. Wenn Engländer übernachten, dann auf einem“ Campground“ oder in einem „Caravanpark“. Von dort erkundet man dann die Gegend und kehrt am Abend zurück oder steuert den nächsten an. So ernte ich manchmal seltsame Blicke, wenn ich mich morgens kältestarr aus dem WOMO zwänge, auf einem Parkplatz, mitten in der Stadt. Ist man nicht gewohnt hier.
Deswegen gibt es auch unzählige dieser „Sites“, alle 10 Meilen trifft man auf sie. Leider oft nicht da, wo es (für mich) am schönsten wäre. Sind immer gut ausgerüstet und eine heiße Dusche und der Heizlüfter sind schon fein, muss ich zugeben. An den Küsten, vor allem bei den Sandstränden haben sie (die Caravanparks) Ausmaße von kleinen Städten erreicht, unglaublich.
Vor einigen Jahren war es ja scheinbar noch möglich, auf jedem Parkplatz zu übernachten, dann kamen die „no camping“ Schilder, darauf die „no overnight sleeping“ Anweisungen, was ja ok ist: bleib ich halt wach die ganze Nacht! Immer mehr setzt sich aber das „no overnight parking“ durch und manchmal findet man sogar das Schild „no inside cooking“ auf den Plätzen. Wäre ja alles noch zu tolerieren, aber inzwischen findet man überall auch gleich die dazu passenden Strafandrohungen und da hört der Spaß auf. Würden sie wirklich abkassieren? Man traut sich dann doch nicht und sucht weiter. Es gibt sie zwar noch, die freien Plätze aber man muss sie suchen und das dauert.
Ich könnte ja auf den offiziellen Parkplätzen an den Straßen bleiben, aber das sind wie gesagt nur Pannenstreifen. Die wunderschönen „parking areas“ an den Sehenswürdigkeiten werden nachts verriegelt. So ist das hier eben!
Die Küste ist fantastisch, ein Postkartenmotiv jagt das andere, aber mit Bleiben ist nichts. So lande ich in Llanidlois, in den Cambrischen Bergen. Llanidlois und Machynlleth waren das Zentrum der britischen Hippiebewegung in den 70ern. Ein bisschen was merkt man noch an den Krimskrams Geschäften mit Nostalgiegegenständen und es gibt tatsächlich noch einige Langhaarige, aber ob die? – nein, ich frag‘ lieber nicht. Aber es ist ein gutes Gefühl, war ja auch meine Zeit. Also verbringe ich zwei Tage in der Gegend.
Der Wettersturz tut gar nicht gut, ich halt‘ mich mit Strandwanderungen warm, aber der Wind zieht einem die Wärme aus der Haut. Trotzdem will ich auf den Mount Snowdon, den höchsten Berg von Wales, über 1000 Meter hoch. Er überrascht mich am nächsten Tag mit Schnee bis fast ganz herunter. Ich könnte ja die elektrische Eisenbahn benutzen, die 7 km bergwärts auf den Gipfel kriecht, aber das lässt mein Stolz nicht zu. Beim nächsten Mal! Es gibt doch noch so viele Burgen: Harlech, Criccieth, Caernarfon, Conwy und Beaumaris, sind alle Teil des walisischen Burgen-Welt-Kulturerbes. Beeindruckend und zum Teil wirklich gut erhalten, aber ich kann jetzt keine Burgen mehr sehen!
Vermutlich werde ich langsam Wales verlassen und schau mal, was von den Beatles in Liverpool noch übriggeblieben ist. Und beim nächsten Mal gibt’s auch Ausführliches über die Verkehrssituation im Vereinten Königreich.
Eins habe ich beim Besichtigen der vielen Burgen mitbekommen: ist schon ein kriegerisches Volk (gewesen?), das britische. So penibel, wie man überall informiert wird über die gewonnenen Schlachten (verlorene werden nur kurz angerissen) mit Bild und Ton, bekommt man fast die Überzeugung, die Briten sehen „Krieg“ als etwas Selbstverständliches an. Erschreckt mich schon ein wenig, sogar mehr!
Es ist jetzt fast 21:00 Uhr, immer noch hell, die Vögel zwitschern, die Schafe blöken, und der fast volle Mond scheint mir ins WOMO. Inzwischen ist es wolkenlos, draußen hat es 4° plus, drinnen 28° und es ist Zeit für einen „Penderyn“. „iechyd da“, (Prost) auf einen warmen, friedlichen Mai!
Fazit Wales:
Landschaftlich absolut einmalig, die Mischung aus sanften Hügeln, kahlen Bergrücken bis fast 1000 Metern Höhe (Mount Snowdon sogar darüber), urige Täler, zwischendrin Stauseen mit richtigen Nadelwäldern – urig. Die Leute nett, aber zurückhaltender als in England, die Aussprache gewöhnungsbedürftig. Wunderbare Küsten mit allem, was es geben kann, vom Sandstrand über riesige Dünen, Marschgebiete und bizarre Felsformationen an den Steilküsten. Wales hat alles.
Leider auch die Folgen des Massentourismus der Engländer selbst: keine Betonburgen - das ist positiv - aber dafür endlose Holzhüttensiedlungen an den Sandstränden. Ich möchte nicht wissen, wie es hier im Sommer zugeht. Schon jetzt ist der Zulauf an den Wochenenden gewaltig. Dennoch, Wales ist nicht nur eine Reise wert!
Englisches Mistwetter, Sturm, Dauer-Nieseln und zwischendurch Hagelschauer - es wird nicht besser. Zwar kommt immer mal die Sonne raus, dafür geht’s dann umso schlimmer weiter. Ab zum Lake–District.
Jeder schwärmt davon, keiner sagt, dass es dort fast immer regnet. Der erste See hat gleich Königssee Charakter: „Schafpferche“ am Anlegesteg für die Seerundfahrt mit dem Nostalgiedampfer: „Ludwig Fessel“ lässt grüßen. Noch dazu ist der Ort Windermere „twinned“ (Partnerstädtchen) mit dem bayerischen Ammersee. Ich verzichte - die Massen in den Pferchen nicht, obwohl man kaum was sieht. Dafür finde ich ein „Schaugoldbergwerk“: lauter Familien mit Kleinkindern, die mit einer nostalgischen Dampflok im Gelände herumfahren. Da muss doch noch was für mich dabei sein? Ja, endlich:
Castlerigg Stone Circle! Auf einer Anhöhe inmitten der Berge von Lakeside steht ein 4500 Jahre alter Steinkreis. Es "reißt" auf (der Himmel klart auf) und der Anblick ist erhaben, magisch. Kann man verstehen, dass die Menschen sich damals die Mühe machten und hier sowas errichteten. Wozu? – Keiner weiß es. Theorien gibt es viele. Man hat Gräber gefunden, aber für mich am Einleuchtendsten: immer schon scheinen sich die Menschen Gedanken über das, was nach dem Tod kommt, gemacht zu haben. Und wo könnte man das besser als hier, an diesem wirklich herausragenden Ort? Wahrscheinlich war es eine Art Pilgerstätte, zu der die Menschen von weither kamen und vermutlich wurden sie damals genauso von den Eingeborenen abgezockt wie heute die Touristen. So ist die Welt!
Nachdem das Wetter immer besser wird, mache ich eine Passrundfahrt, von der es in allen Führern heißt: nicht mit dem WOMO, fast 30% und enge Kehren. Ich beobachte einen einheimischen Fiat Ducato Transporter und denke mir: das kann ich auch. Geht auch, aber da die Straße einspurig ist und man den Gegenverkehr nur an einigen Stellen vorbeilassen kann, kommt es schon zu nervigen Situationen. Den Sicherheitsgurt habe ich vorsichtshalber gelöst. Aber je länger es dauert, desto besser wird's. Es kommt mir vor wie eine „Mini–Sella-Ronda“. Gewaltig!
Und am Abend gibt es als Zugabe einen Stellplatz am Meer bei Maryport, ganz allein! Und dann ab nach Schottland!
Der „Abwassertank“ des Casetten-Toiletten-Systems ist hinüber, war ja klar: immer wieder repariert und zu geizig, einen neuen zu kaufen, typisch. Notdürftig abgedichtet geht’s damit (und mit dem WOMO) zum Hadrianswall. Der zieht sich über 100 km von Bowness bis Newcastle, erbaut 122 n.Ch. von Kaiser Hadrian in nur 6 Jahren um die aufmüpfigen Picten und Scoten, die Barbaren halt, abzuhalten. Mauern bauen war ja schon immer eine Lieblingsbeschäftigung der Menschen. Und Ähnlichkeiten zur Chinesischen Mauer sind durchaus erkennbar, wenn auch der Vergleich etwas schräg ist. Man mutmaßt, dass damals die römischen Legionäre zur Ausbildung - aus kämpferischer und baulicher Absicht - dorthin geschickt wurden. Jeder wollte sicher schnell wieder zurück ins warme Italien, also deshalb die Eile? Sie haben das Beste daraus gemacht, die Römer. Kalt wird es ihnen sicher auch gewesen sein.
Links und rechts der Straße kann man noch Reste, die die Bauern noch nicht für sich requiriert haben, sehen, aber auch das ist eben normal: bevor dieses alte „Zeug“ sinnlos in der Gegend rumsteht kann man die Steine doch sinnvoller verwenden!
Der Hadrianswall bildet nicht die eigentliche Grenze zwischen England und Schottland, die erreiche ich in Gretna Green. Na, klingelt‘s? Das Heiratsparadies, wo man schon mit 16 Jahren ohne Zustimmung der Eltern heiraten konnte. Kaum zu glauben, dass man damals (bis in die 40er Jahre) so versessen drauf war! Heute ist’s ein Rummelplatz mit einer nachgebildeten Dorfschmiede samt Amboss und dem dazugehörigen Krimskrams und die Busladungen mit den Kaffeefahrten haben Hochkonjunktur, sogar bei diesem Wetter. Es stürmt und regnet wieder: Schottland will’s mir wirklich zeigen!
Dumfries ist mein nächster Anlaufpunkt. Der wichtigste schottische Dichter, Robert Burns hat dort gelebt und ich besuche ihn in seinem Mausoleum, trinke ein Bier in seinem Lieblingspub und schaue mir sein Geburtshaus an (von außen).
Und entdecke dabei einen Caravan-Utensilien-Handel, gehe hinein, sehe dort genau das, was ich brauche (remember: waste-water-tank) erwerbe ihn, klemm‘ ihn mir unter den Arm und marschiere den ganzen Robert-Burns-Gedächtnisweg zurück damit zum WOMO. Gerettet! Dann gleich auf zu einem Campground am Meer und wieder mal heiße Dusche genießen!
Viel geschrieben in letzter Zeit! Das hängt wohl damit zusammen, dass das Wetter so richtig schottisch war, "meint" Regen und Sturm. Da muss man sich einfach verkriechen und aussitzen. Ich bin dann in die „Lowlands“ gefahren – ein Wanderparadies ohnegleichen. Am Lake Trool (Bild mit großem Gedenkstein) bleibe ich hängen und schaffe es in einer Regenpause auf den höchsten Berg im Süden, den „Merrick“; d.h. fast! Auf dem Nebengipfel sehe ich die Front herbeiziehen und drehe in 730 Meter Höhe wieder um. Einsam ist’s hier oben, bis auf eine Gruppe aus Edinburgh, die hier ihr „adventure“ macht: jeder soweit rauf, wie er's schafft.
Die Rundumsicht ist genial. Ich schaffe es gerade noch ins WOMO, bevor der Regen wieder zuschlägt. Schlage ich halt auch zu, ab ins „basecamp“ an den Strom angeschlossen und den Heizlüfter aufgedreht. Schade, hier könnte man gut mit dem Mountainbike losziehen.
Ich ziehe dafür mit dem WOMO los nach Larnak, ebenfalls Weltkulturerbe, eins von fünf in Schottland. Robert Owen, ein Sozialist hat dort eine Baumwollspinnerei im 19. Jhdt. errichtet, den Leuten Wohnungen gebaut, die Kinder bis zum 10. Lebensjahr kostenlos unterrichtet, ohne Strafmaßnahmen! Alle Arbeiter bekamen freie ärztliche Behandlung und eine Betriebsrente – schon erstaunlich für die damalige Zeit. Endlich mal ein Praktiker, der was getan hat für die Menschen, und die Schotten sind zurecht stolz auf ihn.
Von da geht’s durch die „Scottish Borders“ eine interessante Mittelgebirgslandschaft zum Kloster Melrose. Ein Zisterzienserkloster aus rotem Sandstein erbaut mit einem Dudelsack spielenden Schwein ganz oben auf dem Dach. Außerdem liegt hier das Herz von „Robert the Bruce“ bestattet. Nationalheld, weil er einige Schlachten gegen die Engländer gewann und damit maßgeblich zur Entwicklung Schottlands als eigenständigem Staat beigetragen hat.
Schottland war ja geprägt von den Clans aus den Highlands, den McLeods, MacDonalds usw., die ihren Untertanen Farmgelände zur Verfügung stellten. Nicht im Sinne der Engländer, die wiederholt große Gemetzel veranstalteten, siehe die Filme „Braveheart“ „Rob Roy“ und andere. Irgendwann merkten die Clanführer, dass mit Schafen mehr zu verdienen war und sie nahmen ihren Untertanen das Land weg und vertrieben die Leute nach den USA, Neuseeland und Australien. „Clearance“ nannte man das damals. So leben inzwischen zwei Drittel der schottischstämmigen Bevölkerung im Ausland. Ich erinnere mich an schottische Orte in Neuseeland: Invercargill, Dunedin, Glenorchy, ja und natürlich Perth in Australien!
Wenn ich schon in der Nähe bin, fahre ich auch an die Nordsee, ist ja nur noch ein paar Meilen weg. Eine Menge Burgen gibt es und viel interessante Küste mit wunderbaren Klippenwanderungen. Schwarze Galloway Rinder und über 20 verschiedene Schafrassen, hauptsächlich „blackheads“. Sie sind unermüdliche Mähmaschinen, halten das Gras kurz und treten den Boden fest. Eines habe ich erwischt, das den Job kniend erledigt! Ich dachte erst, es wäre „gehandicapt“, aber nein, es fand es nur einfacher auf den Knien der Vorderbeine rutschend zu grasen. Der Umgang Schottlands mit der Atomenergie ist sehr locker, wenn man das Foto der größten Anlage betrachtet, und direkt daneben situiert - ein Campingplatz!
Momentan sitze ich im Ocean-Einkaufszentrum in Edinburgh. Riesenladen, Starbucks mit freiem WLAN und integriert die „Britannia“, das ehemalige Schiff der Königsfamilie. Das Wetter scheint stabiler zu werden und ich versuch‘ mich mal am Ben Lomond, meinem ersten „Munro“, das sind Berge höher als 3000 feet, also 914 Meter. Über 280 gibt es davon und es existiert eine richtige „Hype“, soviele wie möglich zu besteigen. Ich habe schon ein paar „Donalds“ (Berge zwischen 2000 und 2500 feet).
Das Wetter will nicht! Es gießt wie aus Kübeln, dann lacht fünf Minuten die Sonne, kurz darauf fegt ein Sturm die Äste auf die Straße. 15 Grad sind’s, wenn die Sonne scheint und dann fällt es nachts wieder gegen Null. Selbst die Schotten sind ein wenig ratlos: der Mai ist schon ziemlich mies! Aber, sagen sie, dafür gibt es keine „midges“, die teuflischen, kleinen Mücken, so ähnlich wie die „sandflies“ in Neuseeland. Ich würde mich fast schon auf sie freuen!
Den Ben Lomond streiche ich und behalte ihn mir auf, dafür ein kleiner Ausflug auf den Ben Aáran, einen gut 500 Meter hohen Aussichtsberg: ja, wenn man was sehen würde? Nebel, Sturm und Graupelschauer wie bei uns im Hochgebirge! Aber wenigstens bin ich nass geworden und kann einen Campingplatz ansteuern, zum Duschen.
In der Nacht geht die Welt unter, aber der Heizlüfter läuft problemlos und heute? Heute geht’s genau so weiter. Ich stehe im Trockenen im Städtchen Lochgilphead und beobachte eine Blaumeise mit Autospiegeltick. Sie flattert an den Spiegeln entlang und pickt gegen ihr Abbild: sie erkennt darin wohl einen Gegner? Hübscher Name, den ihr die Engländer gegeben haben: „Blue Tit“!
Für „Vögel Liebhaber“ oder heißt es korrekt “Vogelliebhaber“ ist das ja ein Paradies hier. Ich habe mindestens 10 Rote Milane, 4 Kornweihen, einen Fischadler, ungezählte Silberreiher, Austernfischer, Lummen, Basstölpel und – so meine ich – einen Papageientaucher („Puffin“) durchs Fernglas gesehen. Am Fleißigsten sind die Amseln am Werk: sie flöten wie bei uns. Die unzähligen Fasane mit ihrem rostigen Gießkannen-Gekrächze und die Rebhühner nicht zu vergessen. Schön!
Ich fahre jetzt auf die Halbinsel Kintyre zu, nachdenken - ja: Paul Mc McCartney hat dort einige Zeit verbracht und sein berühmtes „Mull of Kintyre“ ebenda komponiert. „Mull of Kintyre, oh mist rollin‘ in from the sea my desire, is always to be here, oh Mull of Kintyre” – das mit dem “mist” klingt ja nicht sehr vertrauenserweckend. Ich lass’ mich überraschen!
Kintyre ist “echtes” Schottland, ohne Touristen und ich kann verstehen, dass sich Sir Paul McCartney dort einen Bauernhof gekauft hat. Am Südende, dem „mull“ (= Landzipfel) kann man aus 200 Metern Höhe nach Nordirland hinüberlangen, sind ja nur knapp 20 Kilometer. Die Straßen sind eng und ruppig, echte „single lanes“ mit wenig Ausweichmöglichkeiten, aber es ist ja auch kaum Verkehr!
An der Ostküste findet man eine alte Burg, Skipness Castle und eine Kapelle ohne Dach. Der heilige Colomban soll, von Irland aus kommend, hier angefangen haben zu christianisieren. Neben seinem Fußabdruck (Durchmesser ungefähr 2 Meter) hat er auch noch eine Quelle hinterlassen.
Campbeltown im Süden war einmal die Hauptstadt des Whiskys; früher gab es in dem kleinen Ort 34 Destillerien, heute nur noch zwei. Interessant wäre die Insel Islay, die Whisky-Insel, aber, ein anderes Mal.
Nördlich schließt sich Knapdale an, ein Wander- und Bike-Dorado, wenn das Wetter passt. Ich niste mich am Crinan Canal ein und beobachte die Schiffe und Kajaks, die sich vom Loch Gilp zum Loch Crinan schleusen lassen.
Die Kelten haben viele Spuren hier hinterlassen: es wimmelt von „standing stones“ und „stone circles“. Und es gibt zahllose kleine Inselchen. Bei einem halte ich mich abends am Fährhafen lange, zu lange auf – aber das Ale war köstlich!
Es ist Zeit Anna abzuholen, ich mach‘ mich landfein, das Wetter wird schön und warm und der Flieger ist auch pünktlich am Provinzflughafen in Glasgow. Am nächsten Tag gibt’s gleich eine Einstiegstour im Glencoe-Tal zum „Hidden Valley“ einem almähnlichen Hochtal, wo die Bauern angeblich einen Teil ihres Viehs versteckten, um Abgaben an ihre Lehnsherren zu sparen.
Ist überhaupt recht geschichtsträchtig, die Gegend. In diesem Tal fand das Gemetzel am McDonald Clan statt. Die verantwortlichen McCampells dürfen heut noch immer nicht in einige Kneipen hinein – großes Schild draußen: „No McCampells“!
Es ist Zeit für die Insel Skye – sie ist ja eigentlich keine Insel mehr, weil seit 20 Jahren eine Brücke hinüberführt, aber den Inselcharakter hat sie nicht eingebüßt. Skye bietet viel: Wanderungen im Westen, den Leuchtturm von Neist Point (Lars von Trier hat „Breaking the Waves“ dort gedreht), die Cuilins, ein Gebirgszug mit Hochgebirgscharakter und das Quiraing-Gebirge im Norden, das wir bei Regen und Sturm erkunden.
Aber nun geht’s weiter ganz nach Norden und während ich schreibe, hat sich das Wetter komplett geändert: die Sonne scheint!
Die Landschaftsformen im Nordwesten sind schlichtweg umwerfend. So was hab‘ ich noch nie gesehen. Diese Weite und Leere und dazwischen die vulkanartigen Kegelberge. Sie scheinen nicht von dieser Welt zu stammen. Verstreut findet man – kaum mehr sichtbar – Grundmauern der ehemaligen Bewohner. Nach dem grausamen Gemetzel in Culloden, der Schlacht in der die Schotten ihre Unabhängigkeit verloren und ihr Anführer „Young Bonnie Prince Charlie“ in Frauenkleidern als Zofe verkleidet über Skye zurück nach Frankreich floh, setzten die siegreichen Engländer ihnen gewogene Verwalter ein. Diese erkannten schnell, dass mit Schafwirtschaft mehr zu verdienen war als mit den kümmerlichen Abgaben ihrer Bauern, die auf Lehnbasis wirtschaften durften. Also wurden sie vertrieben, erst an die Küste und dann aus dem Land. Kanada, Australien und Neuseeland waren die neuen Heimstätten. Und damit keiner auf die Idee kam zurückzukehren, schleifte man ihre Häuser.
Die Nachkommen der damaligen Lehnsherren existieren immer noch und den meisten geht es auch finanziell noch hervorragend: erst 2004 wurde ein Gesetz erlassen, das den Nachfahren der vertriebenen „Crofters“ erlaubte, ihre ehemaligen Siedlungsgründe käuflich zu erwerben. Viel Armut ist sichtbar neben fein herausgeputzten Ferienhäusern.
In den Flüssen werden die Lachse erwartet, eine Tageskarte zum Angeln kann da leicht auf 300 € kommen, bei maximal 2 Fischen pro Tag! Ich habe irgendwo gelesen, dass es hier genauso oft regnet wie an der Westküste Neuseelands: das wären dann 300 Tage im Jahr. Hochgerechnet kann ich das voll und ganz bestätigen. Trotzdem finden wir Schönwetter-Fenster für den Aufstieg auf den Stac Pollaidh und die Küstenwanderung zum „alten Mann von Stoer“, einer Felsnadel an der Steilküste.
Immer wieder „single tracks“, einspurige Straßen mit Ausweichplätzen, manchmal sehr eng, aber meist asphaltiert. Die Zeit scheint still zu stehen, hier kann man wirklich „entschleunigen“. Der ständige Wechsel von Regen, Sonne, Wolken und Nebel schafft Farbnuancen, die einfach unglaublich sind.
Irgendwann kommt man dann im Norden an auf 58°30´ nördlicher Breite, also in etwa auf gleicher Höhe wie die Südspitze Norwegens. Hier wachsen dank des Golfstroms tatsächlich noch Palmen. Das Wasser ist smaragdgrün, der Sand in den Buchten hell, Karibik-Flair!
Man begegnet auch dem seit 20 Jahren stillgelegten einzigen Schnellen Brüter Schottlands, dessen Ruhelager für abgebrannte Brennstäbe eben zu jener Zeit explodierte und für eine messbare Verstrahlung sorgte, was aber nicht weiter schlimm gewesen zu sein schien. Zwar hatte man erhöhte Radioaktivität an den Sitzen der Busse gemessen, mit denen die Arbeiter und Schulkinder transportiert wurden, ebenso wie an manchen Stränden, aber das war noch kein Grund für Panikmache. Der Schautourismus für das ehemalige AKW läuft auf Hochtouren!
10 Meilen weiter ist man an der Nordseeküste und je weiter man nach Süden fährt, desto mehr verändert sich die Landschaft. Die Wiesen werden saftiger, das Gras steht bereits viel höher und die Bäume sind voll belaubt. An den Sandbänken tummeln sich Robben, und Delphine sollen auch täglich vorbeischauen, natürlich nicht, als wir Ausschau halten.
Inverness taucht auf, Einkaufsstadt und Drehzentrum für den Norden. Viel Positives kann man nicht lesen in den Reiseführern. Wir finden, diese Stadt hat aber etwas, nicht weil sie Augsburgs Partnerstadt ist, nein, sie lebt und atmet. Die Umgebung hat Mittelgebirgs-Charakter und Loch Ness ist nicht weit. Ein geschäftiges Zentrum und ringsum kleine Wohnhäuser, irgendwie seltsam, aber gelungen.
Der Nessie-Rummel erreicht seinen Höhepunkt, wenn man am See entlangfährt – jeder versucht eben sein Stück vom Kuchen abzukriegen. Den Gipfel stellt eine sündteure Tauchfahrt mit einem kleinen U-Boot bis auf 200 Meter Tiefe dar. Bereits ab einem Meter Tiefe sieht man übrigens absolut nichts mehr, so moorig und schlammig ist das Wasser, auch wenn es in der Sonne blau leuchtet. Was ein Mythos alles schaffen kann!
Eben habe ich die Fähre von Dover nach Dünkirchen gebucht. Mir ist plötzlich so nach Leberkäs und weißen Würsten mit Brezen und süßem Senf, pervers. Nein, es ist einfach Zeit für einen Tapetenwechsel. Das Wetter im Norden Schottlands hat sich nicht verändert, es regnet, stürmt und zwischendurch scheint auch die Sonne. Wenn man was vorhat, muss man Glück haben. Bei unserer letzten richtig schönen Tour zu einem Talabschluss war das leider nicht ganz der Fall: es hat uns „derwaschen“, aber wie. Die Heizung bereitete auch Probleme, egal wir wurden wieder trocken ohne gesundheitliche Folgen.
Die Ostküste (Nordsee-Küste) ist völlig anders; lieblicher, die Vegetation ist weiter und das Wetter ist (etwas) besser. Aber jeder sagt hier, dass es für die Jahreszeit einfach zu kalt ist. Da auch mittelfristig keine Änderung zu erwarten ist, liefere ich meine charmante Begleitung am Flughafen in Glasgow ab, nicht ohne vorher noch Edinburgh angeschaut zu haben.
Diese Stadt lebt, hauptsächlich von Touristen. Obligatorisch die Japaner mit Selfie-Stick und eingegrabenem Grinsen im Gesicht, höflich, zuvorkommend und ständig kichernd. Sogar mich fotografieren sie, weiß der Himmel warum? Aber auch sonst ist alles vertreten, was so herumreist in der Welt.
Junggesellen/innen auf Abschiedstour trinken sich gruppenweise durch die Stadt, versteh‘ ich und kann ich nachvollziehen, aber, ehrlich, schön ist es nicht! Straßen- und Performancekünstler überall, die Dudelsacksolisten wechseln stündlich, gibt wohl einen Performance-Plan. Jede Menge Whisky-Läden mit Probiermöglichkeiten, man könnte sich locker durch den Tag trinken und sich dann wahrscheinlich den Junggesellen anschließen.
Die Burg ist ein wenig enttäuschend, habe mir mehr erwartet. Sie glänzt halt mit ihrer Lage. Aber generell ist Edinburgh eine faszinierende Stadt und im nächsten Leben könnte ich mir vorstellen, hier ein paar Semester einzulegen. Muss mal Rücksprache halten.
Fazit Schottland:
Umwerfend! Die Landschaft ein Traum, vor allem der Westen und Norden. Die Berge, obwohl nicht so hoch, dennoch mit durchschnittlich 1000 Höhenmetern beachtlich, mit grandiosen Felsstrukturen, vulkanförmig oder grasbewachsen. Die Urstromtäler menschenleer – die Westküste zerfleddert, ein Anblick schöner als der andere.
Die Menschen hilfsbereit, umgänglich und stets zu einem Schwätzchen bereit. Ich mag sie einfach! Und voller Humor
FAQs in einem Edinburgher "Takeaway":
„The reason we don’t accept Dollars or Euros is, because you don’t accept British Pounds neither"
"Where is Buckingham Palace?" – "You sure you are in the right city?"
"What’s the weather like at Arthur’s seat?" – "It doesn’ matter it will change in 5 minutes anyway!”
Ja, das Wetter? Ist halt so, Punkt, aus. Wer’s nicht verträgt muss daheimbleiben oder woanders hinfahren. Man kann sich sehr gut anpassen und auch bei 10 Grad plus im T-Shirt rumlaufen, ohne krank zu werden. Aber ein bisschen mehr Wärme wäre schon schön gewesen! Hätte ja nicht der schlechteste Frühling seit langem sein müssen!
Die Rückfahrt durch England ernüchtert wieder: bis auf wenige Stellen kein Herz für "freistehwillige Wohnmobilisten", „no overnight parking“, „no sleeping in the car“ (was glauben die denn, was ich im WOMO mache?) kurz und gut, "geht gefälligst auf die vielen Caravanplätze"! Na ja, wer will, soll’s machen, aber doch nicht jeden Tag!
Letzte Nacht hab‘ ich durch Zufall den größten (Stellplatz) gefunden. Nach der Auffahrt auf die mautpflichtige Brücke kurz nach Hull konnte man abbiegen auf einen riesigen LKW-Parkplatz, geschätzt für mindestens 200 große Laster, beleuchtet wie damals die Berliner Mauer, und ich stand da - ganz allein!
Ein bisschen Lincoln muss noch sein und dann ab nach Dover!